70 % aller digitalen Transformationen scheitern. Dabei mussten sich Unternehmen schon immer an neue Umweltbedingungen anpassen und Veränderungsprozesse sind für die meisten Organisationen alltäglich. Was ist dann nur das Problem mit digitalen Transformationen? Und was können Sie besser machen? 11 wertvolle Tipps für eine erfolgreiche Digitale Transformation.
70 % der digitalen Transformationen scheitern
Diese Zahl erstaunt mich immer wieder, obwohl ich sie aus der Praxis sehr gut nachvollziehen kann. Dabei sind kleinere Unternehmen erfolgreicher große Organisationen (> 50‘000 MA)1. Da fragt man sich natürlich sofort, wie es denn um den Erfolg anderer, nicht digitaler Transformationen bestimmt ist. In der Literatur gibt es bereits seit langem eine etablierte Daumenregel für Change Initiativen im Allgemeinen:
- “In Bezug auf große Veränderungsprojekte versagen Organisationen in mindestens 70% aller Fälle bzw. erreichen ihre anfänglichen Ziele in weniger als 5 Prozent.” 2
- “Success rate remains at or about 30%.” 3
Hieraus könnte man ableiten, dass digitale Transformationen gar nicht so schlecht sind, wie es ihr Ruf suggeriert. Ich persönlich stelle eine andere Hypothese auf. Die Ergebnisse für “nicht digitale” Transformationen sind durch digitale Komponenten “verunreinigt”. Somit sind die Statistiken über nicht digitale Transformationen der letzten 20 Jahre verzerrt. Informationstechnologien sind schon jahrelang ein integraler Baustein von Unternehmen. Man denke dabei nur die Buchhaltung, die Kommunikation via E-Mail oder ein ERP-System.
Unternehmen kennen die Herausforderung des digitalen Wandels also schon lange. Was sich allerdings verändert hat sind Tempo, Komplexität, Skalierung und die Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem, in dem Organisationen agieren.
Digitale Transformation ist eine weitreichende Veränderung in allen Bereichen der Organisation
Bevor wir tiefer einsteigen, beginnen wir zunächst einmal mit der Frage, was eine digitale Transformation überhaupt ist.4
- Die Digitale Transformation ist eine weitreichende Veränderung in der Organisation. Sie hat zum Ziel die Zukunftsfähigkeit der Organisation zu sichern oder zu verbessern. Dazu nutzt sie neue digitale Technologien oder technologiebedingte Marktveränderungen .
- Im Fokus der Veränderungen steht die Anpassung oder Neugestaltung von Prozessen, Technologien, Organisationsstrukturen, Kultur und auch Geschäftsmodellen.
- In der Digitalen Transformation verändert sich das Bezugssystem der Menschen in Organisationen in Richtung „Akteur und die Umwelt“ anstelle von “Akteur und die Organisation” oder “Akteur und die Abteilung / das Projekt / das Team”.
- Die Menschen gestalten diesen Wandel AKTIV, und gleichzeitig müssen Sie sich und ihre Arbeitsweise den neuen Gegebenheiten laufend anpassen und stetig lernen.
Die Definition legt dar, was digitale Transformationen von anderen Transformationsinitiativen unterscheidet. Es handelt sich um eine weitreichende Veränderung der Organisation und nicht nur der IT-Landschaft. Neue Technologien müssen erkundet, integriert und betrieben werden können. Prozesse sowie Arbeitsabläufe können betroffen sein und die Kundeninteraktionen verändert sich. Die Unternehmenskultur muss neuen Ansprüchen gerecht werden. Als ob das nicht bereits genug wäre, haben wir in diesem Wandel weitere Variablen, die eine aktive Gestaltung durch Menschen verlangen.
Die Veränderung des Bezugssystems der Menschen beschreibt den Zusammenhang einer digitalen Transformation mit dem Ökosystem einer Organisation. Mitarbeiter müssen ihren Blick auf das Gesamt-Öko-System ihrer Organisation ausweiten. Es genügt nicht, sich nur auf die Prozesse im Unternehmen und auf das Zusammenspiel mit ihrer eigenen Organisation zu fokussieren. Für den Wandel von einer Produktorganisation in eine Serviceorganisation ist diese Veränderung besonders wichtig. Die betroffene Organisation muss die Interaktion mit Kunden, Partnern und Lieferanten ganzheitlicher betrachten und gestalten. Hierzu braucht es natürlich nicht nur neue Werkzeuge, sondern auch neue Fähigkeiten im Unternehmen. Möglicherweise braucht es eine neu gedachte Wertschöpfungskette mit einem erweiterten Ökosystem von Partnern oder Lieferanten.
Als Folge muss das Ökosystem in die Digitale Transformation einbezogen werden. kann ein umfangreicher Scope für den bevorstehenden Wandel entstehen. In den Schnittstellen zu Partnern oder Lieferanten finden sich immense Potenziale um Experiences für Kunden, Partner, Bewerber oder Mitarbeiter zu optimieren. Die Transformation zieht sich damit durch die gesamte Organisation. Das Ökosystem muss gestaltet und einbezogen werden.
Um den definierten Transformationsrahmen umsetzen zu können, sehen wir häufig umfangreiche Programme mit zeitgleich laufenden, interdependenten Projekten. Die einzelnen Projekte sind an sich häufig schon von einer hohen Komplexität geprägt. Während diese Projekte laufen geht der Technologiewandel weiter. Das Wettbewerbsumfeld wird vermutlich ebenfalls auf den Wandel reagieren. Umweltparamater und Abhängigkeiten zwischen den Projekten steigern die Komplexität der Transformation. Für Mitarbeiter, Management und Führungsebenen ergeben sich somit erhebliche Herausforderungen und Veränderungsprozesse.
Digitaler Change betrifft alle Ebenen einer Organisation
Digitale Transformationen bewirken auf allen Ebenen eines Unternehmens teils erhebliche Veränderungsprozesse. Sie betreffen nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Führungskräfte.
Bei einer digitalen Transformation geht es also nicht nur um operative Technologieadaption oder die Gewöhnung an veränderte Prozesse und Arbeitsabläufe. Es geht um die Entwicklung eines neuen Mindsets. Ein Mindset, das es erlaubt, auf strategischer Ebene mit der VUCA-Welt mithalten zu können. Es geht darum Entscheidungskompetenzen so aufzustellen um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Die Interaktionen mit Kunden, Partnern und Lieferanten müssen als Teil eines Ökosystems im Vordergrund stehen.
Die Mitarbeiter müssen dazu sehr viel eigenverantwortlicher denken und handeln. Führungskräfte sind herausgefordert loszulassen, mehr zu führen statt zu verwalten, Mitarbeiter zu coachen, zu fördern und deren intrinsische Motivation zu wecken. Alle Beteiligten müssen sich dem Umgang mit hoher Unsicherheit, Volatilität und Komplexität stellen. Die aktive Gestaltung dieser Risiken ist somit ein zentraler Bestandteil der digitalen Transformation. Dies verlangt ein besonders achtsames Vorgehen von Führungskräften, um rechtzeitig umschalten zu können.
Digitale Transformation vorbereiten und üben
Die Grenzen zwischen der Transformationsvorbereitung und der eigentlichen Transformation sind sehr verschwommen. Streng genommen könnte man auch argumentieren, dass die Vorbereitung bereits Teil der angestrebten Transformation ist. Wie auch immer man sich in dieser philosophischen Frage entscheidet, wichtig bleibt, frühzeitig die ersten Weichen zu stellen. Organisationen müssen dafür sorgen, dass der digitale Wandel nicht zum Kampf gegen einen übermächtigen Gegner wird. Das heißt, die Organisation muss schrittweise lernen und üben. Sie muss trainieren mit den neuen Risiken und Herausforderungen umzugehen. Ich habe für Sie 11 Punkte zusammengestellt, die ihnen dabei helfen sich dem digitalen Wandel erfolgreich stellen zu können.
11 Tipps für eine erfolgreiche Digitale Transformation
- Kultur und Mindset:
Beginnen Sie mit einer offenen, neugierigen und wert-orientierten Unternehmenskultur. Werden Sie ein Team von Entdecker*innen und Wissenschaftler*innen. Erforschen Sie neue Gefilde, beginnen Sie in Hypothesen und Experimenten zu denken. Erlauben Sie potenzielle Fehlschläge. Sehen Sie jeden Fehlschlag als wichtige Lernerfahrungen für eine erfolgreiche Transformation. Das können Sie auch sehr einfach selbst vorleben. - Agilität & Lean:
Üben Sie agiles Arbeiten – auch in Führungsteams. Üben Sie den Fokus auf Wertgenerierung und „Flow“, also dem möglichst effizienten Durchlauf der Arbeitspakete durch den Wertgenerierungsprozess im Unternehmen. Zum Beispiel durch die Einführung von einfachen Kanban-Boards oder den Aufbau eines internen Kompetenz-Zentrums für Agile und Lean. - Hierarchien durchbrechen:
Bilden Sie ein Gremium oder ein virtuelles Team aus einem vertikalen Querschnitt der Organisation. Binden Sie diesen Zirkel in Strategieprozesse, Entscheidungsfindung und die Einführung neuer Arbeitsweisen ein. In einem Umfeld, das von hoher Komplexität und Unsicherheit geprägt ist, kommt die Rolle der Führung mit einem dezentralisierten Entscheidungssystem besonders stark zum Tragen. Nur wenn die Führung selbst für Veränderungen bereit ist und diese vorlebt, kann eine digitale Transformation erfolgreich sein. - Silos durchbrechen:
Setzen Sie alles in Bewegung, um silo- und disziplinübergreifendes Arbeiten zu fördern oder gar zu forcieren. Eine digitale Transformation fordert die gesamte Organisation. Es braucht Verständnis sowie Respekt für die unterschiedlichen Sicht-, Arbeits- und Denkweisen. Diversität, die über Geschlechter und Kulturen hinausgeht, sorgt für bessere Lösungen und ist langfristig ein zentraler Baustein einer Innovationskultur. Nutzen Sie den oben beschriebenen Zirkel, um Vertreter aus verschiedenen Silos zusammenzubringen. - Technologieadaption üben:
Setzen Sie schon vor der eigentlichen digitalen Transformation regelmäßig neue Technologien und Tools ein. Der Umgang mit Technologie-Implementationen, dem Technologie-Management und stetiger Veränderung wird somit zum Alltag. Diese Übung kann auch ein gezielter erster Schritt einer digitalen Transformation sein und vom oben beschriebenen Zirkel ausgestaltet werden. Natürlich sollten neue Technologien und Tools stets gemäß ihrer Sinnhaftigkeit und ihrem Wertschöpfungspotenzial ausgewählt werden. - Wissen & Fähigkeiten:
Stellen Sie sicher, dass Wissen über digitale Technologien und neue Arbeitsweisen auf allen Hierarchie-Ebenen und in allen funktionalen Bereichen vertreten ist. D. h. Mitarbeiter, Management und Verwaltungsrat. Natürlich müssen hier unterschiedliche Tiefen, Fokusbereiche und Betrachtungswinkel berücksichtigt werden. - Sense of Urgency:
Die Menschen in der Organisation müssen verstehen, warum die Transformation wichtig und dringend ist. Sie müssen verstehen welche Vision und Zielsetzungen damit verfolgt werden. Je aufgeklärter Führungsgremien und Organisation sind, desto einfacher lässt sich dieser Schritt gestalten. Machen Sie der Organisation klar, was ein Hinauszögern bedeuten würde und machen Sie den Wake-Up Call zur Chefsache. - Datenverfügbarkeit:
Arbeiten Sie IMMER (bereits in den frühen Stadien der Transformation) an der Qualität sowie ständigen Verfügbarkeit von entscheidungsrelevanten Daten und Informationen in der Organisation. Eine Demokratisierung der Daten und Informationen im Unternehmen ist eine essenzielle Vorbedingung für dezentralisierte Entscheidungsprozesse. Diese sind hilfreich, um die Komplexität von digitalen Transformationen zu reduzieren und schnell kompetente Entscheidungen zu treffen. Die Relevanz von Daten als Basis für Entscheidung wird im Laufe der Transformation zunehmen. Sie führt zu einem weiteren Ausbau von Datenquellen, Datenanalysen, Systemintegrationen oder IoT-Anwendungen. Ein Tipp aus der Praxis: Daten und Information müssen einfach zugänglich sein und sollten auch Freude machen dürfen. D.h. investieren Sie in einfach zugängliche, schön aufbereitete Dashboards, Informationsablagen sowie in interne Kommunikation. - Innovationskultur:
Lassen Sie Innovationen nicht nur zu sondern arbeiten Sie kontinuierlich und bewusst daran. Arbeiten Sie aktiv an Innovationen, um die Transformation zu unterstützen. Hier braucht es zum einen Budget und zum anderen Kapazität in der Unternehmung. Starten Sie zum Beispiel mit einem Participatory Budgeting Workshop für die Budgetverantwortlichen, durch die Einführung eines Innovationsteams oder durch einen dedizierten Innovationsfreiraum für die Mitarbeiter im Allgemeinen, zum Beispiel ein Innovation-Friday. - Fokus, Fokus, Fokus:
In einer Welt voller neuer Möglichkeiten und ständiger Veränderung kann man leicht den Kurs verlieren. Halten Sie den Fokus der Transformation und der Maßnahmen von Anfang an so eng wie möglich, machen sie lieber einen kleinen Schritt nach dem anderen und priorisieren Sie stets nur, was innerhalb der Strategie einen echten Mehrwert für Kunden und Organisation bringt. Falls sie immer häufiger mit der Strategie in Konflikt kommen, erlauben Sie es sich und der Organisation diese zu hinterfragen. - Erfolgsfaktor Mensch:
Neben dem inhaltlichen Fokus auf Mehrwert sollten die Menschen, d. h. Mitarbeiter, Kunden sowie Partner im Mittelpunkt stehen, – auch wenn oder gerade weil es sich um eine digitale Transformation handelt, sind Menschlichkeit und der Umgang mit den agierenden Menschen der wichtigste Erfolgsfaktor jeder digitalen Transformation. Nehmen Sie die Menschen und ihre Bedürfnisse, Sorgen und Ängste daher stets ernst – das gilt auch für Ihre eigenen.
Und noch ein letzter Hinweis: Eine digitale Transformation ist kein IT-Projekt. Die IT Abteilung ist ein zentraler Partner, vielleicht sogar ein Treiber in der Transformation. Die Aufgabe der IT wird es sein, den digitalen Wandel technologisch zu ermöglichen, zu operationalisieren und die nötige Governance zu erarbeiten. Die digitale Transformation als großes Ganzes ist jedoch ein organisatorischer Wandel, der wie bereits gesagt, das gesamte Unternehmen mitsamt seinem Ökosystem betrifft.
Wenn Sie mit der Transformation fertig sind, beginnen Sie wieder mit Punkt 1 – denn der digitale Wandel endet nicht mit ihrer Transformation.
1 McKinsey & Company – unlocking success in digital transformations
2 Kotter, 2015
3 PMI, 2014
4 Bootcamp Digitale Transformation von Königswieser und oddEVEN 2021